Die Ukraine und die Büchse der Pandora
von Bernhard Trautvetter*
Am Montag, dem 31. Januar, verhandelt der Weltsicherheitsrat auf Antrag der USA über die Ukraine-Krise öffentlich. Die Transatlantiker werden dieses Ereignis dafür benutzen, die Manipulation der öffentlichen Meinung in ihrem Sinn weltweit zu intensivieren.
Die Nato erklärt seit 2014, die Krim-Krise habe das Sicherheitsumfeld in Europa komplett geändert. Russland sei kein Partner sondern der Aggressor, die Gefahr. Es breche die Regeln der internationalen Politik und der Demokratie, die der Westen verteidige [1].
Mit dieser Darstellung treiben die Transatlantiker Keile zwischen alternative Kräfte und die Linke. Die Gegenaufklärung hat es schwer, da dieses Narrativ immer wieder in neuer Form über die Nachrichten in die öffentliche Meinungsbildung wirkt .
Umso wichtiger ist die Klarstellung der Fakten:
Im April 2014 erklärten der damalige Bundesaußenminister Steinmeier im Bundestag, wer „sieben Jahrzehnte nach Kriegsende beginnt, bestehende Grenzen in Europa mutwillig zu korrigieren, der verletzt nicht nur Völkerrecht, sondern der öffnet eine Büchse der Pandora, aus der Unfrieden immer wieder neu entstehen wird“, warnte Steinmeier [2].
Die Aussage, dass Russlands Aktion zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa mit einer Grenzverschiebung Völkerrecht gebrochen hat, nimmt zwar ein großer Teil der Öffentlichkeit der Nato ab, obwohl sie falsch ist. Denn sie übergeht z.B. die gewaltsame Landnahme der türkischen Armee auf Zypern, die seit 1974 kein Staat außer der Türkei selbst anerkannt hat und die heftige Zerwürfnisse in der EU hervorgerufen hat [3]. Und sie macht den völkerrechtswidrigen Balkankrieg der Nato vergessen, der die Zerlegung Jugoslawiens nach sich zog [4].
Die Aussage, dass Russland in der Ukraine einen Rechtsbruch vornahm, auf den der Westen zu reagieren habe, stellt den Ablauf auf den Kopf: Der Krim-Krise ging die verfassungswidrige und vom Westen unterstützte Absetzung der Regierung der Ukraine voraus, woraufhin eine sogenannte Übergangsregierung die Macht erhielt. Hier ein neutraler Beleg dieses Ereignisses: Der damalige Präsident Janukowitsch wurde am 22. Februar 2014 unter Verletzung der ukrainischen Verfassung abgesetzt. Für die Absetzung wurden nur 72,88 Prozent der Stimmen im Parlament erreicht. Die ukrainische Verfassung schreibt 75 Prozent vor [5]. Im Moment der Abstimmung waren bewaffnete Kräfte im Parlament. Zur sogenannten Übergangsregierung zählten Faschisten, wie es Gregor Gysi in seiner Bundestagsrede am 13. März 2014 darlegte: „Der Vizepremierminister, der Verteidigungsminister, der Landwirtschaftsminister, der Umweltminister, der Generalstaatsanwalt das sind Faschisten. Der Chef des nationalen Sicherheitsrates war Gründungsmitglied der faschistischen Swoboda-Partei. Faschisten haben wichtige Posten und dominieren zum Beispiel den Sicherheitssektor. Noch nie haben Faschisten freiwillig die Macht wieder abgetreten, wenn sie einmal einen Teil davon erobert hatten. … Swoboda hat engste Kontakte zur NPD und zu anderen Naziparteien in Europa. Der Vorsitzende dieser Partei, Oleg Tjagnibok, hat Folgendes wörtlich erklärt. Ich zitiere jetzt; Sie müssen sich anhören, was er wörtlich gesagt hat – Anführungsstriche : ‚Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten.‘ …“ [6]. Diese Entwicklung wurde bis zum – wie Gabriele Krone-Schmalz es juristisch korrekt nennt – ‚Staatsstreich‘ [7] und darüber hinaus von westlicher Seite unterstützt.
„In der Forschung werden die Stiftungen unter anderem als ‚diplomatische Hilfstruppen‘, die eine ‚Nebenaußenpolitik‘ betreiben … beschrieben … Unabhängige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die rechtsradikalen Kräfte im Zuge der Proteste stark gewachsen sind. Die Heinrich Böll Stiftung (HBS) will davon nichts wissen. Dabei stufte Kyryl Savin, Leiter des Ukraine-Büros der Stiftung, noch 2012 den Zuwachs, den die Swoboda-Partei erzielt hatte, als bedenklich ein und sprach vom Vorsitzenden der Partei als dem … Faschisten… Sechzehn Monate später hatte der Wind sich offenbar gedreht…. Andreas Umland, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Euro-Atlantische Kooperation Kiew, schrieb in einem Beitrag der HBS, Begriffe wie ‚Faschisten‘ …seien zur Bezeichnung der Swoboda-Anhänger unangebracht. Er selbst spart … nicht mit Vergleichen und schreibt, bei Putin fänden sich ‚Ideen und Praktiken, die an die Politik des Dritten Reiches erinnern‘ …“[8]. Nach dem Staatsstreich in Kiew beschloss das ukrainische Parlament das Verbot von Russisch als Amtssprache und stieß damit die Bevölkerung in den östlichen und südlichen Landesteilen vor den Kopf. „In der mehrheitlich russischsprachigen Ost- und Südukraine nahmen viele Menschen angstvoll wahr, wie nationalistische Bewegungen, die keinen Hehl aus ihrer Russenfeindlichkeit machten, in Kiew Oberwasser bekamen. Die durchaus berechtigten Sorgen der Menschen im Osten und Süden des Landes wurden jedoch in der westlichen Welt in keiner Weise ernst genommen.“[9] Stattdessen baute die Nato das Bild auf, dass Russland die Ukraine desstabilisiert, dort Gewalt ausübt und die Souveränität des Landes auch mit bewaffneten Kräften aggressiv verletzt.[10]
Dieses einseitige Bild nutzen die Nato und ihre Unterstützer für die Lüge, die Nato müsse wegen der russischen Gefahr immer noch weiter aufrüsten, obwohl nur schon mit Frankreich und Deutschland zwei der Nato Staaten deutlich mehr fürs Militär ausgeben, als Russland.[11] Und im Zusammenhang mit der Propaganda der Nato hat dieses Militärbündnis die Stimmung dafür geschürt, dass immer mehr Staaten Osteuropas zu Nato-Staaten wurden, um deren ‚Schutz‘ gegen Russland zu sichern.
Der vermeintliche ‚Schutz‘ umfasst auch das atomare Arsenal der Nato, das die USA aktuell weiter entwickeln, sodass es gebrauchsfreudiger ist, wie ein US-General bekundet.[12]
Den Beschluss über die Stationierung dieser Angriffswaffen, die die Schwelle zum Atomkrieg senken, fällte die Nato auf ihrem Chicago-Gipfel zwei Jahre vor der Krim-Krise. Nach dem Ausbruch der Krim-Krise legitimierten Nato-Vertreter und sie unterstützende Kräfte die Neu-Entwicklung der atomaren Arsenale, deren Stationierung nach Nato-Pl berücksichtigt werden änen in dieser Legislaturperiode ansteht, mit der Krim-Krise.[13] Die Lüge von der Reaktion auf die Krim-Krise soll die Öffentlichkeit auf die Seite der Nato ziehen, was auch allen Fakten zu Trotz sehr weitgehend erfolgreich geschehen ist.
Ein Grund ist der Propaganda-Trick, die Nato sei ein Bündnis zur Verteidigung der Demokratie, sie werde Russlands Forderung nach Stopp der Osterweiterung nicht zustimmen, da sie die Souveränität der Staaten, die dies wollen, achtet. Sie verteidige damit auch das Recht.
Sie übergehen damit, dass die Nato-Ostausdehnung bis zur russischen Grenze den Versprechungen, die Bundesaußenminister Genscher und US-Außenminister Baker der Sowjetunion bei den Verhandlungen zur Deutschen Einheit nachweisbar gegeben haben, widerspricht; die Ankündigung, die Nato werde sich keinen Fußbreit nach Osten ausdehnen, war zwar für sich genommen völkerrechtlich nicht bindend[14]. Aber im Vertrag zur Deutschen Einheit haben sich die USA, Deutschland, Frankreich, die UdSSR und Groß Britannien darauf geeinigt, dass sich das nun größer gewordene Deutschland für eine gesamt-europäische Friedensordnung einzusetzen hat, in der die Sicherheitsinteressen aller Staaten berücksichtigt werden[15]. Das verletzt die Eskalation der Nato gegen Russland. Solange die deutsche Regierungspolitik sich nicht konsequent für eine solche Friedensordnung einsetzt, statt den Nato-Kurs zu stützen, verletzt sie den Vertrag, auf dessen Grundlage Deutschland seit 1990 existiert. Die Friedensbewegung hat hier den Auftrag, darauf hin zu wirken, dass das Recht im Sinne des Friedens von allen Seiten eingehalten wird und dass die Vorkriegs-Propaganda durch wahrheitsgemäße Aufklärung ersetzt wird. Ehe Kriege ausbrechen, hat immer erst einmal die Wahrheit verloren. Das zu korrigieren ist Aufgabe der alternativen Spektren, der friedensökologischen Kräfte und aller, die sich für das Überleben engagieren. Die Zukunft für den Menschen ist entweder friedlich, oder sie ist nicht.
* Bernhard Trautvetter, Essen, Mitbegründer Netzwerk Schule ohne Bundeswehr NRW, Sprecher Essener Friedensforum, VVN-BdA, GEW
[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/allianz-nato-ruestet-sich-fuer-konflikt-mit-moskau-1.5445998 und: https://www.rnd.de/politik/ukraine-konflikt-nato-generalsekretaer-stoltenberg-ueber-putin-und-den-kalten-krieg-FIK44TGI7ZGV5MPXUNPSVEDGEM.html
[2] https://www.vorwaerts.de/artikel/russland-hat-buechse-pandora-geoeffnet
[3] https://www.eurotopics.net/de/264696/geisterstadt-varosha-schafft-erdogan-tatsachen und: https://www.tagesschau.de/ausland/zypern-erdgasstreit-101.html
[4] http://www.agfriedensforschung.de/themen/Voelkerrecht/paech2.html
[5] https://www.linksfraktion.de/parlament/reden/detail/ukraine-es-gibt-nur-den-weg-der-diplomatie/
[6] ebenda
[7] Gabriele Krone-Schmalz, Eiszeit, München 2017, S. 97
[8] https://www.hintergrund.de/politik/welt/instrumente-deutscher-machtpolitik/
[9] Gabriele Krone-Schmalz, ebenda
[10] https://www.cducsu.de/themen/aussen-europa-und-verteidigung/wadephul-wir-stehen-der-seite-der-ukraine
[11] https://neue-entspannungspolitik.berlin/sipri-weltrekord-militarausgaben-2019-auf-1917-billionen-usd-gewachsen/
[12] https://fas.org/blogs/security/2015/11/b61-12_cartwright/
[13] https://www.nytimes.com/2014/09/22/us/us-ramping-up-major-renewal-in-nuclear-arms.html?hp&action=click&pgtype=Homepage&version=LedeSum&module=first-column-region®ion=top-news&WT.nav=top-news&_r=1
[14] https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/russia-programs/2017-12-12/nato-expansion-what-gorbachev-heard-western-leaders-early
[15] https://www.bpb.de/nachschlagen/gesetze/zwei-plus-vier-vertrag/44112/praeambel
Schluss-Satz besser:
Die Zukunft des Menschen ist entweder friedlich oder es gibt keine.
Egal wer in Russland oder China regiert und welche Menschenrechte dort verletzt werden, oberstes Gebot der Stunde ist es eine Friedenssicherung zu erreichen,
weil das Recht auf Leben erstmal gesichert werden muß.
Keine NATO- Erweiterung gegen die russischen Interessen!