Führen die Grünen einen Krieg gegen Russland?
Über einen neuen Aufreger in der Linkspartei und einige historische Hintergründe
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Fuehren-die-Gruenen-einen-Krieg-gegen-Russland-7203283.html
von Peter Nowak (5.8.2022)
Auszug:
Während in Politik und Medien breit über die Streckung oder Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke diskutiert wird, werden ohne größere Diskussionen eigentlich schon stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb gehen. Das Kraftwerk Mehrum in Niedersachsen soll vorerst wieder ans Netz.
Schließlich will man im Winter nicht eingestehen müssen, dass Deutschland vielleicht doch in erster Linie selbst unter den Sanktionen leidet, die es wegen des Ukraine-Krieges gegen Russland verhängt – und dass es vielleicht doch nicht nach einer klaren Haltung aussieht, sich über die Drosselung russischer Gaslieferungen zu beschweren, nachdem man angekündigt hat, Russland zu „ruinieren“.
Nun sind aber Kohlekraftwerke sehr umweltschädlich und daher war eigentlich in Berlin der Ausstieg aus dieser Technologie vereinbart. Zudem hat sich die Umweltbewegung in den letzten Jahren im Zuge der Klimakrise verstärkt auf den Kampf gegen die Kohleverstromung konzentriert.
Es gibt also für eine linke Oppositionspolitik allen Grund, diese stille Renaissance der Kohle zu kritisieren. Genau das hat die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht mit wenigen Sätzen getan. Ihr Tweet vom 1. August lautete:
„Wiederinbetriebnahme der Kohlekraftwerke zeigt: #Klimawandel war für Grüne gestern wichtig. Heute hat wahnsinniger Krieg gegen Russland für frühere Ökopartei Top-Priorität & sogar einzig vernünftige Konfliktlösung (Diplomatie/Verhandlungen) wird abgelehnt.“
Schließlich wurde Wagenknecht und ihren Parteiflügel immer vorgeworfen, sie würde ökologische Fragen vernachlässigen, als Mittelstandsprobleme ansehen und nur die Reste der fordistischen Arbeiterbewegung ansprechen wollen.
Bremse für eine Koalition mit SPD und Grünen
Doch mit ihren wenigen Sätzen erntete Wagenknecht wie üblich in- und außerhalb ihrer Partei Empörung. Einige Linke-Politikerinnen legten ihr erneut den schnellen Parteiaustritt nahe. Es ist davon auszugehen, dass sich vor allem eine Martina Renner nicht darüber echauffiert, dass Wagenknecht plötzlich doch Umweltbelange entdeckt hat.
Vielmehr ist es die Formulierung, dass die Grünen einen „wahnsinnigen Krieg gegen Russland“ führen, die zu diesen Aufwallungen führt. Nun ist das natürlich parteipolitisch verständlich. Es gibt einen wachsenden Flügel in der Linkspartei, der mitregieren will und das geht nach Lage der Dinge nur im Bündnis mit SPD und Grünen. Von dieser Vorstellung, als Juniorpartner ihre Nato- und EU-Tauglichkeit vorher besonders nachweisen zu müssen, lassen sich diese Realpolitiker nicht abschrecken.