Erwiderungen auf Wulf Gallert: „Linke Außenpolitik braucht die Rückkehr zu Marx“
Stellungnahmen zu:
Linke Außenpolitik braucht die Rückkehr zu Marx
Die Linkspartei muss sich den Auseinandersetzungen um ihren internationalen Kurs stellen – in ihrem Inneren und nach außen
von Wulf Gallert – nd aktuell vom 04.01.2022
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160092.aussenpolitik-der-linkspartei-linke-aussenpolitik-braucht-die-rueckkehr-zu-marx.html
Stellungnahme von Norman Paech
veröffentlicht in der Printausgabe des nd vom 11.1.2022
Stellungnahmen sind auch als PDF abrufbar auf der Homepage:
www.norman-paech.de
ND hat dem stellvertretenden Vorsitzenden der Internationalen Kommission beim Parteivorstand der Linken Gallert breiten Raum gegeben, um der Außenpolitik der Linken „eine den globalen gesellschaftlichen Realitäten adäquate Positionierung“ zu geben. Wenn er dabei hinter die „Beurteilung der Situation in Russland…, des USA-China-Konfliktes und des Einsatzes von militärischen Mitteln“ ein Fragezeichen setzt, so deutet das darauf hin, dass es ihm um eine deutliche Revision der bisherigen außenpolitischen Grundsätze der Linken geht.
Er beginnt sogleich mit der viel kritisierten Stimmenthaltung der Fraktion zum Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Kabul. Doch das Problem dieser Entscheidung ist nicht die mangelnde Geschlossenheit und die Vielzahl der Stimmen bei ihrer Abgabe, wie Gallert meint, sondern die Stimmenthaltung. Sie war falsch, genauso wie die Zustimmung, zu der sich die Parteivorsitzende Hennig-Welsow bekannte und der wohl auch Gallert zuneigt. Notwendig für die Evakuierung über den August 2021 hinaus wäre die Zustimmung der Taliban als neue Machthaber in Kabul oder das Mandat des UN-Sicherheitsrats gewesen. Um die Verlängerung des alten abgelaufenen Mandats wurde in Doha mit den Taliban verhandelt, es wurde abgelehnt. Ein Mandat des Sicherheitsrats wurde gar nicht erst beantragt. Ein Einsatz der Bundeswehr wäre also völkerrechtswidrig gewesen und das mehrheitliche Mandat des Bundestages war es deshalb ebenso. Die USA hatten die neue Situation richtig eingeschätzt und ihre Truppen zum 31. August mit Ablauf des alten Mandats abgezogen. Die Bundeswehr hätte daher ohne Hilfe der US-Truppen ihren Auftrag überhaupt nicht ausführen können. Das war den Abgeordneten vor der Abstimmung bekannt. Warum wäre es nicht möglich gewesen, die Ablehnung eines völkerrechtswidrigen und unmöglichen Mandats im Parlament und in der Öffentlichkeit überzeugend zu begründen? Die Fraktion lebte offensichtlich schon nicht mehr.
Gallerts Suche nach den „Ursachen des Dilemmas“ kreist immer wieder um die Notwendigkeit von Kompromissen in der Politik und die mangelnde Kompromissfähigkeit. Und wenn schon keine Kompromisse mit Parteien: „Mit den realen globalen Verhältnissen sollten wir das aber schon versuchen.“ Damit steuert er direkt in die ganze Misere unserer Partei, die sie unter die 5%-Grenze gezogen hat. Da hilft auch keine Beschwörung des „kategorischen Imperativs von Karl Marx: Alle Verhältnisse umzuwerfen…“ als „normative Grundlage“ unserer außenpolitischen Aktivitäten. So widersprüchlich wie peinlich diese Anrufung in dem Papier wirkt, der Kompromiss mit den realen globalen Verhältnissen bedeutet die Abdankung sozialistischer Außenpolitik.
Ihn treibt die Einseitigkeit der Kritik am Imperialismus und Interventionismus der USA und der NATO um, ohne dass die gleiche Kritik an Russland, China, Venezuela oder Kuba geübt wird. In seiner Vorstellung der Äquidistanz folgt er der bürgerlichen Presse. Er sieht keinen Unterschied zwischen den „russischen Militärinterventionen im Ausland“, den „chinesischen Aktivitäten im Süd- und Ostchinesischen Meer“, den Umgang mit der Opposition in Hongkong und den Uiguren in Xingjang und den Kriegen der NATO-Staaten von Jugoslawien 1999, über Afghanistan, Irak, Libyen bis Syrien. Wer die Verbrechen an Julian Assange verurteilt, darf zu Nawalny nicht schweigen.
Doch es geht in diesen Zeiten nicht um Kritik in der Außenpolitik. Es geht um Krieg und Frieden, um die steigende Kriegsgefahr, die nicht vom Osten ausgeht. Da macht es schon einen Unterschied, dass fast 45 Prozent der Welt-Rüstungsausgaben von den NATO-Staaten aufgebracht werden und nur 16,1 Prozent von China und Russland, dass die USA über 800 Militärstützpunkt über die ganze Welt verstreut haben, während Russland derzeit 20 hat und China an seinem ersten Militärstützpunkt in Afrika baut. Es macht auch einen Unterschied, wer andere Staaten mit Jahrzehnte langen Wirtschaftssanktionen gezielt in die größten wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten treibt, um einen „regime change“ herbeizuführen. Dies ist nur von den USA und den anderen NATO-Staaten bekannt und genauso friedensgefährdend wie der ungebremste Zug der Nato gen Osten, nach Georgien, Ukraine und Kirgisien, obwohl die Verantwortlichen wissen, wie sensibel diese Grenzregionen für Russland sind und geradezu eine militärische Reaktion provozieren, wie bei der Ukraine erfahren.
Wer eine normative Grundlage seiner zukünftigen Außenpolitik sucht, sollte sie nicht bei einem falsch verstandenen Marx, sondern beim Völkerrecht und der UNO-Charta finden (siehe Afghanistan). Zum Völkerrecht gehören natürlich auch die Menschenrechte, doch nicht als Hebel missionarischer Drohungen und Sanktionen oder„humanitärer Interventionen“, mit denen die NATO 1999 Jugoslawien mit einem völkerrechtswidrigen Krieg überfallen hat. Zwei Parteien in der gegenwärtigen Ampelkoalition bildeten seinerzeit das Kriegskabinett. Schon damals ging es dem Außenminister Fischer um eine „wertegebundene Außenpolitik“, die in einem blutigen Krieg endete. Er sollte allen menschenrechtlichen Feldzügen eine Warnung sein. Was nützt die Entsendung einer Fregatte ins südchinesische Meer oder der politische Boykott olympischer Winterspiele außer dem eigenen Zeigefinger? Derartige Symbolpolitik verschärft nur die Spannungen. 2009 warnte Eric Hobsbawn im „Stern“:
„Meine geschichtliche Erfahrung sagt mir, dass wir uns – ich kann das nicht ausschließen – auf eine Tragödie zu bewegen. Es wird Blut fließen, mehr als das, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde – zwischen den USA und China.“
Und heute hört man die gleiche Warnung von Biden und Xi Jingping. In dieser Situation sollte man mehr auf die Menschenrechte im eigenen Land achten, als sie zum Hebel gegen andere Staaten zu benutzen.
Schließlich ist auch die „Verhinderung der sich anbahnenden globalen ökologischen Katastrophe“ ein „zentraler Punkt“ linker Außenpolitik. Aber es folgt nicht mehr als die Plattitüde, dass sich „auch linke Akteure im Spannungsfeld von globaler Gerechtigkeit und nationaler Besitzstandswahrung bewegen“. Kein konkreter politischer Gedanke, nur die Erkenntnis, „dass der schnellere Ausstieg aus den fossilen Energieträgern… ein ausgesprochen dickes Brett“ sei. Sollte nicht linke Außenpolitik die sich anbahnende Ökologische Katastrophe einmal unter dem Blickwinkel der Folgen von forcierter Rüstung, von Auslandseinsätzen der Bundeswehr, von Krieg und daraus folgenden Flüchtlingsströmen, der Verschwendung von Ressourcen und der Zerstörung menschlicher Gesellschaften betrachten?
Diese „Rückkehr zu Marx“, die uns Gallert empfiehlt, wird die Partei nicht aus dem Graben holen. Eine solche Außenpolitik braucht die Partei nicht, und die Partei mit einer solchen Außenpolitik braucht niemand.
Norman Paech, Hamburg 7. Januar 2022.
Leserbrief von Werner Ruf
E-Paper vom 10.1.2022:
Außenpolitik, von wem auch immer betrieben, verfolgt Interessen. Sie resultiert also immer aus den in unserem Land vorherrschenden Interessen – nicht den unseren. Wie linke Politik in einem kapitalistischen System immer ein Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse sein muss, gilt das auch für Außenpolitik. In dieser wird das Beschwören der Menschenrechte genutzt zur Verschleierung jener Interessen, die entsprechend der herrschenden Kräftekonstellation verfolgt werden. Dies zeigen bereits die ersten zwei Wochen der Amtszeit der neuen Außenministerin.
Kern der Gallert’schen Aussage ist, dass die Linkspartei die Außenpolitik »nie auf den Prüfstand der praktikablen Umsetzung gestellt« habe. Was aber kann der praktikable Prüfstand in einer bürgerlichen Koalition sein? Für eine sozialistische Partei kann Politik nicht nach parlamentarischer Mehrheitsfähigkeit fragen, sie kann in der Außenpolitik nur heißen: Nie wieder Krieg! Sollten aber die Menschenrechte oberster Maßstab sein, gilt auch hier: Das erste Menschenrecht ist das Recht auf Leben! Eine Partei, die auf ihre ureigenen Prinzipien verzichtet, verliert ihren Gebrauchswert.
Prof. Dr. Werner Ruf, Ehrenmitglied der RLS