Zeitenwende – DIE LINKE und ihre Positionierung zum Krieg
Aus dem Kreis unserer Initiative Frieden-Links gab es direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24.2. eine kurze Stellungnahme. Mittlerweile sind einige detailliertere Analysen und Kommentare hinzu gekommen. In der umfassenden Link-Sammlung auf friedensratschlag.de sind diese über die Rubriken „Berichte und Analysen“ und „Standpunkte“ verteilt.
An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf die Konsequenzen der Ereignisse für die Friedenspolitische Positionierung der Partei DIE LINKE. Dieses gilt insbesondere für die (noch bestehende) Bundestagsfraktion nach der Sondersitzung des Bundestages am 27.2. Dabei hielt Kanzler Scholz eine Rede, die eine Zeitenwende hin zum Militärstaat einläutet, der auf eine Armee aufbaut, die über ihren grundgesetzlichen Auftrag hinaus eine Schlagkraft für die ‚Nukleare Teilhabe‘ und die ‚Elektronische Kriegsführung‘ im modernen Krieg des 21. Jahrhunderts vorsieht. Damit nutzt die Militär-Lobby den Krieg, um eine Rekord-Hochrüstung durchzusetzen, die sich nicht mit dem Ukraine-Krieg rechtfertigen lässt, da sie auf weltweiten Einsatz ausgerichtet ist.
Die Reden im Bundestag am 27.2. sind hier abrufbar: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20019.pdf
Ausführlich kommentiert hat dieses auch Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten mit: „Wie 1914: Wir kennen keine Parteien mehr“. Trotz der letztlich doch noch erfolgten Ablehnung der Regierungsvorlage für eine Kriegspolitik (siehe »Dieser Krieg ist eine Zäsur, auch für uns als Linke.«) gibt es aktuell heftige Kontroversen zu einer Sonder-Positionierung von Sahra Wagenknecht und anderen.
(Politische Erklärung zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und FDP mit der Drucksache 20/846 zur Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage
Von Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, Sören Pellmann, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Klaus Ernst, Christian Leye)
Darauf hin gab es eine scharfe Replik von Gregor Gysi:
Liebe Sahra, liebe Sevim, liebe Zaklin, lieber Andrej, lieber Klaus, lieber Sören, lieber Christian, heute schreibe ich euch zu eurer gestrigen Erklärung zu dem Antrag der Regierungsfraktionen und von CDU/CSU.
Zunächst stelle ich fest, dass ihr damit die Erklärung zum Abstimmungsverhalten von Janine Wissler, Susanne Hennig-Welsow, Amira Mohamad Ali und Jan Korte konterkariert. Im Unterschied zu euch finde ich die Erklärung gut. Außerdem äußert ihr euch zur Außenpolitik und habt mich als außenpolitischen Sprecher weder gefragt noch einbezogen, was wohl ebenso eure Absicht war. Nun werde ich über meine Rolle neu nachdenken müssen.
Inhaltlich wendet ihr euch scharf gegen Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, verweist aber nicht auf die besondere Geschichte Deutschlands, die das ausschließen soll, sondern äußert es so generell, dass es doch eine linke Position sei. Das aber hieße, dass auch die Linken in Frankreich, in Großbritannien und überall gegenwärtig Waffenlieferungen an die Ukraine ausschließen sollten. Damit sprecht ihr der Ukraine faktisch ein Selbstverteidigungsrecht ab und seid indirekt dafür, dass sie nur die Chance zur bedingungslosen Kapitulation bekommt. Ich bin hier strikt anderer Auffassung und räume überfallenen Ländern immer das Selbstverteidigungsrecht ein. Auch dem Irak, als die USA das Land überfiel. Selbstverständlich hatten alle Länder, die Hitler überfiel das Recht, sich zu wehren. Es gibt eben generell ein Selbstverteidigungsrecht überfallener Länder. Nur sollte Deutschland wegen seiner Geschichte viel zurückhaltender bei Waffenlieferungen sein, möglichst den Waffenexport überhaupt ausschließen.
Natürlich ist die geplante extreme Aufrüstung der Bundeswehr falsch. Ihr habt Recht, dass die NATO jetzt schon ein Vielfaches im Vergleich zu Russland für Armeen und Waffen ausgibt. Das hat den Krieg nicht verhindert, so dass auch eine weitere gewaltige Steigerung der Ausgaben ebenso wenig die Gefahren abbaut. Sobald es – hoffentlich sehr schnell – endlich wieder Frieden in der Ukraine gibt, müsste gegenseitig über den Abbau von Atomwaffen, weltweit über Abrüstung nachgedacht und ernsthaft verhandelt werden.
Was mich aber wirklich entsetzt an eurer Erklärung, ist die völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid. Millionen Menschen sind so wie ich tief bewegt, Hunderttausende demonstrieren. Ihr seid nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die NATO ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch. Müssen nicht auch wir über uns nachdenken, eine gewisse Zäsur begreifen? Natürlich kenne ich die Völkerrechtsverletzungen der NATO und von Mitgliedern der NATO und ich habe sie häufig gerügt. Ich war beim Krieg der NATO gegen Jugoslawien in Belgrad und habe mich dafür arg beschimpfen lassen. Das Völkerrecht unterscheidet nicht zwischen Demokratien und Diktaturen. Es kennt neben Menschenrechten nur Rechte und Pflichten von Staaten, unabhängig von der Art und Weise des Zusammenlebens einer Gesellschaft. Das wird meist nicht verstanden, auch von den Medien nicht. Es gibt eben nach dem Völkerrecht keine guten und bösen Kriege, sondern nur verbotene Angriffs – und erlaubte Verteidigungskriege. Jetzt hat die NATO aber keinen einzigen Fehler begangen, der den Krieg Russlands rechtfertigte. Deshalb spielen diese Umstände seit Beginn des Angriffskrieges Russlands zweifellos nicht die Rolle, die ihr ihnen beimesst. Und Putin hat unsere Position gegen eine Osterweiterung der NATO – was ihr nicht im Mindesten erkennt – insoweit widerlegt, als er die Ukraine nicht angegriffen hätte, wenn sie Mitglied der NATO gewesen wäre. Deshalb denken jetzt selbst Regierungen von Ländern wie Schweden und Finnland darüber nach, Mitglieder der NATO zu werden. Auch insoweit hat Putin eine Katastrophe angerichtet. Es kann ja sein, dass alles nicht so eskaliert wäre, wenn die NATO nach 1990 nicht die 14 Staaten aufgenommen hätte. Aber nun bewirkt Putin exakt die gegenteilige Einstellung bei immer mehr Regierungen. Und man kann es denen doch nicht verdenken, wenn sie einen Angriff Russlands zumindest nicht ausschließen können. Später können wir wieder darüber diskutieren, welche andere Politik nach Beendigung des kalten Krieges eine solche Eskalation bis hin zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hätte verhindern können. Aber jetzt ist dafür nicht die Zeit. Russland muss gestoppt werden. Das imperiale Denken Putins ist katastrophal und muss überwunden werden. Mit dieser russischen Führung habe ich nichts, aber auch gar nichts mehr im Sinn.
Ich bin insgesamt über eure Erklärung entsetzt und wollte euch das wissen lassen.
Gregor
Die Antwort von Sahra Wagenknecht findet sich hier:
https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/3156.stellungnahme-von-sahra-wagenknecht.html
Bezeichnend ist, dass diese Debatte über Die Welt geführt wird:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article237212671/Brief-an-Sahra-Wagenknecht-Gregor-Gysi-rechnet-mit-Genossen-ab.html
siehe dazu auch: Offener Brief an Gregor Gysi