Parteipolitik: Vor italienischen Verhältnissen
Dokumentiert. Der Partei Die Linke droht der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Sie muss ihren Kurs ändern. Leitantrag der Sozialistischen Linken
Quelle: Junge Welt vom 5.5.2023 – https://www.jungewelt.de/artikel/450323.parteipolitik-vor-italienischen-verh%C3%A4ltnissen.html
Auszüge:
Den Überfall Russlands auf die Ukraine zu kritisieren bedeutet allerdings nicht, dass wir unsere Einschätzung des geostrategischen Agierens der NATO und der USA revidieren. Die zahlreichen Kriege der USA und ihrer Verbündeten seit 1990, wie den Jugoslawien-Krieg und den Irak-Krieg, haben wir ebensowenig vergessen wie die Lügen zu deren Begründung. Das Vorrücken der NATO nach Osten entgegen früherer Abmachungen wurde auch von deutschen und anderen europäischen Regierungen nicht behindert. Die Erwähnung der Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs wird oft als Entschuldigung verstanden, es geht aber darum, dass Kriege im Vorfeld verhindert werden können. Dies ist besonders in der weiteren Eskalation gegenüber China wichtig, damit hier nicht die Vorgeschichte eines weiteren Krieges entsteht.
Die politische Parteinahme Europas für die US-amerikanischen strategischen Interessen ist besonders in bezug auf die laufende Eskalation gegenüber China fatal. Die militärische Eskalation ist äußerst gefährlich, weil immer die Gefahr eines direkten Krieges zwischen NATO und Russland und die einer nuklearen Katastrophe droht. Zudem torpedieren Krieg und Sanktionen die Maßnahmen gegen die weitere globale Katastrophe, den Klimawandel, und verschärfen Hunger und andere Krisen weltweit, vor allem in Ländern des globalen Südens. Dies alles zeigt, dass es zur Diplomatie keine Alternative gibt. […]
Aber gerade in der jetzigen Situation versagt die Partei Die Linke. Dies zeigt sich exemplarisch am Umgang mit der Kundgebung vom 25. Februar 2023 und dem Manifest für den Frieden. In der Vorbereitung der Kundgebung wirkte die Parteiführung demobilisierend, und in der Auswertung der Kundgebung verbreitete auch sie die Mär von der Querfrontveranstaltung. So erscheint sie wie der linke Flügel des herrschenden Blocks. In dieser momentanen gesellschaftlichen Krise brauchte es eine Linke mit einem klar erkennbaren Profil. Eine Partei, die konsequent für den Frieden kämpft und den herrschenden Narrativen von Kriegsursachen und bellizistischen Lösungen des Ukraine-Kriegs mutig entgegentritt. Eine Partei, die ökologische und soziale Positionen glaubwürdig zusammendenkt und dies mit Kapitalismuskritik verbindet. Eine Partei, die vor allem als Opposition sichtbar ist und klar dagegenhält, auch wenn dies mit starkem Gegenwind der anderen Parteien und der Medien verbunden ist.
Statt dessen erscheint Die Linke wie eine Partei, bei der nicht klar ist, was sie eigentlich will. Befürwortet sie Waffenlieferungen in die Ukraine, und will sie ihr Verhältnis zu NATO überdenken? Bleibt sie Bestandteil der Welt der Arbeit, oder reicht ihre soziale Phantasie bis zum bedingungslosen Grundeinkommen? Ist ihr die spezielle Interessenvertretung des Ostens noch wichtig oder gilt dies als überholt? Sind ihr identitätspolitische Fragen wichtiger als Klassenfragen? Wie angepasst ist sie bei ihren Regierungsbeteiligungen? Sind Antikapitalismus und eine sozialistische Perspektive für sie noch wichtige Fragen, oder liegen sie verstaubt im Parteiprogramm? Dies fragen sich unsere Wählerinnen und Wähler, und viele wählen Die Linke nicht mehr. […]
Der Niedergang an der Wahlurne ist begleitet von einer Zuspitzung der innerparteilichen Auseinandersetzung. Ein Bündnis aus linksliberalen Reformern und sogenannten Bewegungslinken versucht systematisch, die mit der traditionellen Arbeiterbewegung und traditionell sozialistischen oder kommunistischen Positionen verbundenen Genossinnen und Genossen aus den Leitungsfunktionen beziehungsweise gleich ganz aus der Partei zu drängen. Die Partei wird beherrscht von einer Gruppe von Funktionären, von denen viele in unterschiedlicher Form hauptamtlich von der Partei und deren Umfeld leben. Diese Gruppe und ihre Netzwerke beherrschen zunehmend die Parteitage.
Auch wenn in den Materialien und auf den Plakaten von Die Linke vernünftige Positionen vorherrschen und die Abgeordneten in den Parlamenten in der Regel gute Sacharbeit leisten, wird der Alltag in vielen Kreisverbänden von Bewegungshype, Verbalradikalismus, Szenesprech und Identitätspolitik beherrscht. Das ist wenig einladend für solche Teile der Bevölkerung, die nicht aus dem linken Milieu stammen. Vor allem ein hilfloser Antifaschismus, mit einem inflationären Gebrauch des Begriffs »Nazi«, sowie eine überzogene Me-Too-Debatte haben viele Schäden hinterlassen. Das wird dem Problem nicht gerecht. Weder verhindert es das momentane Erstarken der AfD noch sexistische Verhaltensweisen in Die Linke. Inhaltlich gehen der Partei die letzten verbindenden Klammern aus. […]