EU-Militarisierung als Subsystem der globalen NATO
Grafik: entnommen von Titelseite des Friedensjournals Nr. 2/2024, das auch den nachfolgenden Beitrag enthält.
Zusammenfassung eines Beitrages von Jochen Scholz im Rahmen eines Webinars der Initiative Frieden-Links vom 22.2.2024.
Oberstleutnant a.D. Jochen Scholz war bis 2000 Berufsoffizier und Referent beim Generalinspekteur der Bundeswehr.
Inhaltliche Zusammenstellung und Bearbeitung: Karl-Heinz Peil
Jochen Scholz begann seinen Beitrag mit einer grundsätzlichen Kritik, nämlich die im linken Spektrum und auch in Teilen der Friedensbewegung verbreitete Vorstellung, dass die Europäische Union eine eigene politische Agenda verfolge und bestrebt sei, diese unabhängig von den USA durchzusetzen. Hierzu zitierte Jochen Scholz zwei wichtige Beispiele.
Wolfgang Ischinger, der bis 2022 auch die Münchner Sicherheitskonferenz leitete, schrieb Ende 2016 nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten einen Leitartikel in der New York Times. Er führte dabei aus, dass die Europäer zwar keine einfachen Partner sein mögen und dass selbst Obama oft frustiert über Europas Unentschlossenheit gewesen sei, dass aber dessen ungeachtet Donald Trump keinen besseren Partner für die Zusammenarbeit finden könne, zwecks Durchsetzung der strategischen US-Interessen und Verstärker für die militärische Macht der USA. Damit widersprach Ischinger der Darstellung von Trump, dass die EU nur Trittbrettfahrer der militärischen Macht der USA sei.
Von Klaus Naumann, früherer Bundeswehrgeneral, der in den 90er Jahren Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses war, wurde kürzlich ein Leserbrief in der FAZ als Reaktion auf einen Leitartikel in Bezug auf Donald Trump und seinen Wahlkampf veröffentlicht:
„Er [Donald Trump] scheint nicht zu begreifen, das die einzige globale maritime Macht dieser Welt, die USA, ihre Weltmachtrolle nur behalten wird, wenn sie die europäische Gegenküste kontrollieren kann. Das ist ein militärischer Fachausdruck. Nur von Europa aus kann Amerika seine Macht in den kritischen Raum des erweiterten Nahen Ostens nach Afrika und in den Indischen Ozean so projizieren, dass der globale strategische Gegenspieler China dort nicht dauerhaft Fuß fassen kann.“
Als Skandal sieht Jochen Scholz nicht, was beide damit ausdrücken – was ja auch den Tatsachen entspräche – sondern dass beide eindeutig dahinter stehen würden. Das heißt, dass ein US-Konzept begrüßt wird, das gegen die eigentlichen Interessen der Europäer und natürlich auch insbesondere Deutschlands gerichtet ist.
Dazu erfolgte von Jochen Scholz ein kurzer Rückgriff in die Geschichte, um zu verstehen, wie es überhaupt zu dieser unkritischen Distanz bzw. Unterordnung gegenüber den geopolitischen Vorstellungen der USA kommen konnte.
Die USA haben demnach seit 1945 eine sehr geschickte, auf drei Säulen beruhende Strategie entwickelt.
Militärisch – die erste Säule
Wir kennen alle das Zitat von Lord Ismay, dem ersten Generalsekretär der Nato, 1949 über den Zweck der Nato, d.h. „„to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“ (die Russen rauszuhalten, die US-Amerikaner hier in Europa und die Deutschen unter Kontrolle zu halten).
Politisch – die zweite Säule
Um zu propagieren, dass die Sowjetunion sowohl ideologisch als auch militärisch expansiv sei, wurde 1948 das „American Commitee on United Europe“ (Amerikanisches Komitee für ein vereinigtes Europa) gegründet. Geschäftsführer wurde der ehemalige Geheimdienstchef des Office of Strategic Services (OSS – Vorgängerorganisation der CIA im zweiten Weltkrieg), William J. Donovan, sein Stellvertreter der spätere CIA-Direktor Allen Welsh Dulles.
Damit erfolgte eine umfassende Einflussnahme auf die westeuropäische Bewegung zu einer politischen Staatengemeinschaft. Hierbei spielten wiederum Robert Schuman und Jean Monnet eine maßgebliche Rolle, die beide zusammen als Gründungsväter der europäischen Einigung bezeichnet werden. Insbesondere letzterer hatte in seinem gesamten Leben seit dem Ersten Weltkrieg intensivste Beziehungen zu politischen Kreisen in den USA. Jochen Scholz verwies darauf, dass hierüber auch eine Finanzierung der europäischen Einigungsbewegung erfolgt sei, wobei er sich auf Forschungen eines US-Wissenschaftlers bezog, der vormals geheime Dokumente auswerten konnte, die erst in jüngerer Zeit freigegeben wurden. Diese Auswertung wurde wiederum von dem britischen Journalisten Ambrose Evans-Pritard für den (politisch konservativen) Daily Telegraph publiziert.
Unterordnung der EU offiziell dokumentiert
Dass die EU mit ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) keineswegs eigene von den Amerikanern unabhängige Interessen verfolgt, ergibt sich aus zwei Abkommen zwischen der EU und der NATO.
Das erste ist das sogenannte Berlin-plus-Abkommen aus dem Jahre 2003 wo die militärische Priorität der (US-geführten) NATO gegenüber der EU festgelegt wurde und jegliche Art von Konkurrenz zu vermeiden sei.
Das zweite Dokument ist eine „Gemeinsame Erklärung zur Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO“ vom Januar 2023, das in 14 Einzelpunkten ähnlich gelagerte Festlegungen enthält.
Drittens: Soft Power
Damit deklarierte Jochen Scholz die zahllosen transatlantischen Denkfabriken, wie z.B. die Atlantikbrücke, „The German Marshall Fund of the United States“ und das „American Council on Germany“. Dazu gehört auch das „Young Leadership Program“, worüber das Personal rekrutiert wird, welches in Medien und Politik gebraucht wird, um US-Interessen in Europa durchzusetzen. Frau Baerbock hat dieses Programm ja auch durchlaufen.
Diese Säule der Einflussnahme ist praktisch noch effektiver als die militärische und politische Säule, weil hierüber entscheidende Köpfe so gesteuert werden, dass sie überhaupt nicht mehr anders denken können als in transatlantischen Kategorien.
Die „russische Gefahr“ als Neuauflage
Eine Frage, die in der anschließenden Diskussion an Jochen Scholz gestellt wurde, lautete: Was hat die EU von dieser Unterordnung? Die Antwort: Überhaupt nichts. Um dieses zu unterstreichen, verwies er auf den US-Vordenker Brzezinski, der seinerzeit in seinem Buch „Das große Schachbrett“ die Rolle der Europäer als tributpflichtige Vasallen beschrieben hat, womit er auf einen Begriff zurück griff, der das römische Imperium der Antike charakterisierte.
Ergänzend führte Jochen Scholz noch aus: Während man zu Zeiten des Kalten Krieges permanent die sowjetische Bedrohung in grellen Farben darstellte, erlebe man das derzeit wieder bezüglich Russland. Personalisiert auf Putin werden aggressive militärische Ziele in Osteuropa unterstellt. Dazu verwies er auf Willy Wimmer. Dieser war 1988 parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Bei einem Vortrag im CIA-Hauptquartier in Langley wurde klar formuliert, dass die Sowjetunion nach 1945 in Osteuropa vor dem Hintergrund ihrer historischen Erfahrungen nur defensive Maßnahmen getroffen habe. Dennoch wird selbiges Märchen wieder neu aufgelegt. Es nutze Putin nichts, dass er bereits wiederholt auf das teilweise noch unerschlossene riesige Territorium Russlands zwischen Moskau und Wladiwostok verwiesen habe und deshalb keinerlei territorialen Ansprüche z.B. an das Baltikum bestünden.
Die 2022 beschlossenen Sanktionen der EU gegen Russland wurden von den USA initiiert, aber im wesentlichen nur von der EU umgesetzt – zum eigenen wirtschaftlichen Schaden, auch zugunsten der USA. Für Jochen Scholz könne das, was die deutsche Politik hier in Bezug auf nationale Interessen betreibt, auch als Hochverrat bezeichnet werden, soweit man das nicht im anders definierten juristischen Sinne verstehe. Das beste Beispiel hierfür sei jene bekannte Szene gewesen, wo Bundeskanzler Scholz in Washington regungslos neben US-Präsident Biden gestanden habe, als dieser offen erklärte, dass man Nordstream 2 stoppen könne.
Als Ausblick auf absehbare Entwicklungen kritisierte Jochen Scholz die Beteiligung der deutschen Marine im Indopazifik nicht wegen der seiner Ansicht nach lächerlichen militärischen Drohgebärden gegenüber China, sondern als Ausdruck der totalen Unterordnung und als Aktivitäten gegen eigene Interessen bzw. der EU. Sein Schlusssatz lautete:
„Notwendig ist ein friedliches, kooperatives Verhältnis aller Staaten zueinander und miteinander auf dem eurasischen Kontinent. Aber die deutsche Politik und damit auch die EU-Politik macht genau das Gegenteil“.