Was ist die Globale NATO heute?
Beitrag von Anuradha Chenoy im Rahmen eines Webinars der Initiative Frieden-Links vom 22.2.2024
Anuradha Chenoy ist emeritierte Professorin im „Centre for Russian and Central Asian Studies“ an der „School of International Studies“ an der Jawaharlal Nehru University in Neu Delhi.
Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Karl-Heinz Peil
Inhalt
Anspruch und Ziele von NATO und den USA
Die NATO wurde 1948 als Verteidigungsbündnis während des Kalten Krieges gegründet Im Gründungsvertrag wird in Artikel 6 festgelegt, dass sich das Eingreifen der NATO auf bewaffnete Angriffe gegen die transatlantischen Mitgliedsstaaten beschränkt. Eine Ausweitung auf den asiatisch-pazifischen Raum verstößt also gegen die Charta. Allerdings hat sich die NATO nach ihrer 2011 erfolgten militärischen Intervention in Libyen, ihrer Rolle als ISAF-Friedenstruppe in Afghanistan (2001-2014) und der Ausbildung von Sicherheitskräften im Irak globalisiert.
Faktisch ist die NATO der militärische Arm für die nationalen Interessen der USA, was auch aus dem 2022 verabschiedeten Strategischen Konzept der NATO hervorgeht. Darin wird die NATO-Erweiterung der letzten Jahrzehnte als großer Erfolg dargestellt und eine Beibehaltung der militärischen Präsenz zu Lande, zur See und im Weltraum ebenso als notwendig angesehen wie die atomare Abschreckung.
Zu dem aktuellen NATO-Konzept heißt es (auf der Homepage des BMVg):
„Abschreckung und Verteidigung, Krisenprävention und -management sowie kooperative Sicherheit bleiben die Kernaufgaben der NATO. Mit dem neuen strategischen Konzept werden sie jedoch an die aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen angepasst. Außerdem wird das aktuelle strategische Umfeld stärker berücksichtigt. Das neue Konzept bestätigt den 360-Grad-Ansatz des Bündnisses, Bedrohungen aus allen Richtungen und aus allen Dimensionen entgegentreten zu können.“
Die strategische Priorität der USA besteht darin, ihre internationale Hegemonie aufrecht zu erhalten (Quellen: „Interim National Security Strategic Guidance“ vom März 2021 und „Renewed Great Power Competition: Implications for Defense“ vom Dez. 2021). Dieses erstreckt sich auf die Fähigkeiten, Landgebiete, das Meer, Weltraum und Technologien zu beherrschen. Hierfür erwies sich das unipolare internationale System nach dem Zerfall der Sowjetunion (1990) als vorteilhaft, da die USA ihren „Exzeptionalismus“ unangefochten ausüben konnten.
Die derzeitige Strategie der USA besteht darin, keine Konkurrenz zuzulassen, die ihre Vorherrschaft auch nur annähernd infrage stellt. Diese wird durch die Stabilisierung Russlands unter Putin und den Aufstieg Chinas als bedroht angesehen. Dazu werden unterschiedliche Feindbilder auf regionale und globale Bedrohungen projiziert: Russland (Russophobie), China (Sinophobie), Naher Osten (Islamophobie) und Terrorismus.
Im Strategischen Konzept der NATO 2022 werden explizit folgende Bedrohungen genannt:
- Russland wird „als bedeutendste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ genannt.
- Des weiteren werden der Klimawandel und die Perspektive von Frauen auf Konflikte genannt.
- Während China im Konzept von 2010 noch nicht erwähnt wurde, wird jetzt auf „die systemischen Herausforderungen“ für die transatlantische Sicherheit hingewiesen.
- Terrorismus wird als „ständige Bedrohung unserer demokratischen Gesellschaften“ benannt.
- An dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt wolle man festhalten.
Die globale NATO im Indo-Pazifik
Die globale US-Präsenz im Indo-Pazifik entwickelt sich immer mehr zu einer NATO-Präsenz. Wichtige Nicht-NATO-Verbündete in der Pazifikregion sind Australien, Neuseeland, Südkorea und Taiwan. Bilaterale Abkommen bestehen seitens der USA mit Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, Philippinen und Indien zur militärischen Zusammenarbeit. Darüber hinaus gibt es mit Indien ein Memorandum über den logistischen Austausch für die US-Navy.
Das 2005 abgeschlossene Abkommen zwischen den USA und Pakistan über gegenseitige Verteidigungshilfe (CIS-MOA) wurde im August 2023 erneuert, nach einem „Regime Change“ im Sinne der USA. Es beinhaltet den Austausch von geheimen Informationen und verstärkter militärischer Zusammenarbeit.
Das 2007 initiierte Quad-Abkommen („Quadrilateral Security Dialogue“ – quatrilateraler Sicherheitsdialog) beinhaltet eine Zusammenarbeit der USA mit Australien, Indien und Japan mit dem Ziel, einen „freien und offenen Indopazifik“ zu gewährleisten. Von China wird befürchtet, dass sich die Quad-Gruppe zu einer regionalen Allianz nach dem Vorbild der NATO entwickeln könnte.
Trilaterale Sicherheitsbeziehungen bestehen zwischen den USA, Japan und der Republik Korea (August 2023) für militärische Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung bei der Abwehr von Bedrohungen mit dem erklärten Ziel, „Frieden und Stabilität in der Meerenge von Taiwan“ zu sichern.
Ein Abkommen vom April 2023 zwischen den USA und den Philippinen sieht vor, dass vier neue Militärbasen von den USA genutzt werden sollen, zusätzlich zu bereits vorhandenen Militärbasen.
Als Reaktion auf den Sicherheitspakt, den die Salomonen im April 2022 mit China unterzeichneten haben, kam es zu Sicherheits- und Wirtschaftsabkommen der USA mit drei pazifischen Inseln (Papua-Neuguinea, Palau, Mikronesien). Deren Eliten gelten als politisch durch die USA korrumpiert.
AUKUS (Australien, UK und USA) ist ein Militärbündnis, das im September 2021 geschlossen wurde. Da dieses auch die Beschaffung von Atom-U-Booten durch Australien vorsieht, wird damit auch der Atomwaffensperrvertrag unterlaufen.
Die NATO in Afrika
2007 wurde das afrikanische Oberkommando für US-Streitkräfte in Afrika aufgestellt. Vorausgegangen waren dem Bemühungen seit 2002, in Afrika selbst mit festen Militärbasen Fuß zu fassen. Da sich in Afrika selbst kein Gastland für die Ansiedlung des Africom fand, wurde dieses in Stuttgart angesiedelt. Dieses spielte 2011 eine wichtige Rolle beim NATO-Militäreinsatz in Libyen.
Trotz des zunehmenden Widerstandes in Afrika sind dort noch zahlreiche NATO-Staaten militärisch präsent. Wesentlich verstärkt hat sich dem gegenüber die militärische Zusammenarbeit afrikanischer Länder mit Russland, was sich auch in der zunehmenden Anzahl von Söldnertruppen niederschlägt.
Die zahlreichen US-Militärstützpunkte in Afrika werden auch als „Lily Pads“ (deutsch: Seerosen) bezeichnet. Diese Bezeichnung steht bildlich für einen Frosch, der mit Leichtigkeit auf einem Gewässer seinen Standort wechseln kann. Da die meisten militärischen Vereinbarungen der USA mit afrikanischen Ländern nicht öffentlich sind, kann über deren genaue Anzahl nur spekuliert werden.
Reaktionen auf die Expansion der NATO
Bei Russland und China hat die Expansion der NATO nicht nur zu eigener Aufrüstung geführt, sondern zur strategischen Partnerschaft.
In gewisser Weise, kann man die politische Strategie, die bei Japan, Südkorea und den Philippinen für die militärische Zusammenarbeit mit den USA steht, auch als „Bandwagoning“ bezeichnen. Dieser Begriff bezeichnet die Anbindung eines Staates an einen anderen Staat mit einem höheren Machtpotenzial. Anders formuliert: Es erfolgt eine eigene, forcierte Aufrüstung als Trittbrettfahrer.
Die wohl wichtigste Gegenreaktion sind multilaterale Zusammenschlüsse, aber mit strategischen Allianzen unterschiedlicher Akteure. Die wichtigsten sind BRICS, ASEAN und SCO. Deren Mitglieder agieren bewusst im Sinne von Blockfreiheit. So baut Indien seine strategische Beziehungen zu den USA aus, ohne seine engen strategischen Beziehungen zu Russland zu ändern. Viele ASEAN-Länder (Verband Südostasiatischer Nationen) sind gleichzeitig mit den USA und China verbunden.
Sicherheitsverständnis – eine Gegenüberstellung
Die kooperative Sicherheit der NATO |
Gemeinsame Sicherheit |
Euro-Atlantische Sicherheit exklusiv |
Recht auf menschliche Sicherheit für alle: Freiheit von Furcht und Freiheit von Notsituationen). |
Sicherheit vor der Bedrohung durch das „Andere“ (Beispiele: Russophobie, Sinophobie, Islamophobie, Fremdenfeindlichkeit) |
Vertrauen zwischen Nationen und Völkern als Basis für eine friedliche und nachhaltige menschliche Existenz |
Eskalierende Abschreckung – nuklear und hybrid, regionale Expansion, Steigerung der Militärausgaben |
Keine nukleare Abschreckung, Begrenzung der konventionellen Waffen, Reduzierung der Militärausgaben |
Primär Militärallianz |
Globale und regionale Kooperation, Multilateralismus und Respektierung des Völkerrechts |
Euro-Atlantische „regelbasierte Ordnung“ und deren Durchsetzung mit militärischer Gewalt |
Dialog, Konfliktverhütung und vertrauensbildende Maßnahmen |
„Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, Sanktionen, „Regime Change“, hybride Kriegsführung, militärische Interventionen |
Völkerrecht, verantwortliche Regierungsführung, Rüstungskontrolle erweitert auf neue Technologien wie Cyberspace, Weltraum und KI |