DIE LINKE – Opportunismus oder Antwort auf die neuen Zeiten?
Die Wiederauferstehung der Partei Die LINKE ist erstaunlich. Aber was für eine Partei ist DIE LINKE heute? Was hat sie noch mit der alten LINKEN zu tun?
von Alexander Neu
Quelle: Nachdenkseiten vom 16.9.25
Auszüge:
[…]Vom Aufbruch der LINKEN zur schleichenden Anpassung
DIE LINKE ist das Ergebnis einer Fusion der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG. 2005 zog sie in den Bundestag ein. Die Fraktion war der Macht- und Führungskern, der auch im Wesentlichen im Sommer 2007 die Fusion beider Parteien absicherte. Die Bundestagswahl 2009 mit dem Duo Oskar Lafontaine und Gregor Gysi brachte das bislang stärkste Ergebnis mit 11,9 Prozent für die Partei. Dieses Ergebnis war Ausdruck einer zumindest nach außen hin weitgehend geschlossenen Partei mit klaren politischen Vorstellungen – insbesondere auch in meinem Fachbereich der internationalen Politik. Frieden, Abrüstung und eine neue, auf Ausgleich bezogene europäische Sicherheitsarchitektur, ein europäisches System der kollektiven Sicherheit statt der NATO und ihrer Erweiterungspolitik. Das Völkerrecht war die Richtschnur des Formulierens unserer damaligen außenpolitischen Positionen. So heißt es im Grundsatzprogramm der LINKEN, das 2011 verabschiedet wurde und erstaunlicherweise bis heute gilt, obschon die politische Ausrichtung faktisch verändert wird:
„Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat. Unabhängig von einer Entscheidung über den Verbleib Deutschlands in der NATO wird DIE LINKE in jeder politischen Konstellation dafür eintreten, dass Deutschland aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses austritt und die Bundeswehr dem Oberkommando der NATO entzogen wird.“
Die außenpolitische Position der Partei DIE LINKE war damals das absolute Alleinstellungsmerkmal im Parteienspektrum der im Bundestag vertretenen Parteien. Aber auch genau diese Positionierung war für die übrigen Parteien und die Mainstreammedien nicht akzeptabel. Noch bei der Bundestagwahl 2021 forderten Die Grünen, DIE LINKE müsse sich zur NATO bekennen. Und tatsächlich scheint die NATO im politischen Berlin eine Staatsräson darzustellen. Ohne ein solches Bekenntnis, welches die Grünen viele Jahre zuvor brav geliefert hatten und mittlerweile zu den führenden NATO-Protagonisten geworden sind, gibt es bislang keine politische und massenmediale Akzeptanz.
Mit der Übernahme des Parteivorsitzes von Katja Kipping und Bernd Riexinger begann ab Mitte der 2010er-Jahre der allmähliche, aber kontinuierliche Abstieg in den Umfragen und Wahlergebnissen. […]
Verlor DIE LINKE in den letzten Jahren zunehmend an Mitgliedern, besonders auch im Osten angesichts ihrer Altersstruktur, so nahm die Mitgliederzahl ab Ende 2024 rapide zu. Am 31. Dezember 2024 gab es rund 58.000 Mitglieder. Bis August 2025 hat sich die Zahl auf rund 118.000 verdoppelt, so zumindest die Medienberichterstattung. Die neuen Mitglieder der Partei DIE LINKE verfügen jedoch in erheblichem Maße über einen anderen sozialen und politischen Hintergrund. Laut diverser Medienberichte seien die Neumitglieder vorwiegend aus dem Westen, weiblich und jung. Die Alterskohorte der Neumitglieder verjüngt die Partei erheblich. Angeblich soll das Durchschnittsalter der Neumitglieder 28 Jahre sein und damit den Gesamtaltersdurchschnitt der Mitglieder auf 43 Jahre gesenkt haben. Dieses Bild zeigt sich eben auch in der Struktur der neuen LINKEN Bundestagsfraktion. DIE LINKE ist eine neue Partei mit einer neuen Fraktion. Alte Haudegen wie G. Gysi und Dietmar Bartsch wirken eher wie Personen aus einer anderen Welt in der Fraktion.
Mit der personellen Neuaufstellung der Partei und der Fraktion ändert sich auch die politische Positionierung – zumindest von den Positionen, die die Wagenknechtgruppe verkörperte und die mit dem Grundsatzprogramm übereinstimmten. Dies zeigt sich auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Obschon das alte Programm noch in Kraft ist, weichen die zu vernehmenden Äußerungen aus der Bundestagsfraktion bei genauer Analyse der Aussage durchaus von der Programmatik ab. Wenn der Parteivorsitzende van Aken eine „starke Bundeswehr für die landes- und die europäische Verteidigung“ fordert, so unterscheidet sich dies ganz klar von der früheren Linie. Zwar haben auch wir eine Bundeswehr zur Landesverteidigung gefordert, aber eben auch ganz klare Vorstellungen ihrer dafür notwendigen Defensivkapazitäten ausformuliert. Eine Bündnisverteidigung oder eine europäische Verteidigungskapazität wurde abgelehnt.
Auch die Lösungsvorschläge zur Ukraine sind bisweilen recht undifferenziert. So fordert van Aken das Kapern russischer Öltanker in der Ostsee, ohne die völkerrechtlichen und durchaus möglichen gefährlichen militärischen Reaktionen der russischen Seite in Betracht zu ziehen; oder überhaupt auf die Idee zu kommen, dass das Kapern selbst einen Völkerrechtsbruch darstellen könnte. Die Idee eines gemeinsamen europäischen Sicherheitskollektivs scheint nicht mehr zu existieren. Zwar wird von einer „europäischen Sicherheitsarchitektur“ gesprochen, die die NATO ersetzen soll; wie diese jedoch ausschauen soll (ein kollektives Sicherheitssystem oder eine neue europäische Militärallianz) und wer Mitglied sein soll (auch die Ukraine, Weißrussland und Russland?), bleibt unerwähnt. Insgesamt wirken die Aussagen der neuen LINKEN sehr offen für verschiedene Interpretationen. Ob dies nun Absicht ist, um mit Blick auf künftige Regierungsbeteiligungen die außenpolitische Positionierung zu flexibilisieren, oder einer mangelnden Sachkenntnis geschuldet oder sogar der Versuch ist, innerparteiliche Dispute über eine zu enge Festlegung zu verhindern, vermag ich nicht zu beurteilen. Auffällig ist jedoch, dass die Mainstreammedien mit dieser neuen LINKEN Partei wohlwollender umgehen als mit der LINKEN zwischen 2007 bis 2023.
Ob die neue Partei DIE LINKE eine Zukunft haben wird, ist derweil nicht fundiert zu beantworten. Vieles wird davon abhängen, ob sie die richtigen Antworten auf die weltweiten Veränderungen, die sich auch auf die gesellschafts- und innenpolitischen Fragen auswirken, liefert oder vielmehr das Mainstreamnarrativ reproduziert wird und damit zwar das Wohlwollen der Mainstreammedien und der woken studentisch/akademisch urbanen Bevölkerungsteile noch gewinnen kann, jedoch in der politischen Substanz eben Mainstream ist, der einen wachsenden Teil der Bevölkerung nicht mehr bedient. Ein Blick auf die Positionen der linken Gruppen und Parteien des Globalen Südens könnte hierbei durchaus hilfreich sein, um den globalen Transformationsprozess besser zu verstehen und links einzuordnen. Auch die Themen der Verteidigung des Sozialstaates sowie der Migrations- und Asylpolitik könnten die neue LINKE vor existenzielle Herausforderungen stellen, da die innergesellschaftlichen Konflikte hierzu zu wachsen scheinen.