Rot-Rot-Grün: Kleine Kompromisse oder Richtungswechsel?
von Karl-Heinz Peil / 25.8.2020
Ein Kommentar zu den Hintergründen der Initiative aus der Friedensbewegung gegen einen Kurswechsel der LINKEN in der Außenpolitik.
Eine oft gestellte Frage ist: Wiederholt sich die Geschichte? Spätestens im Februar 1919 wurde die SPD regierungsfähig durch die Wahl von Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten Deutschlands. Vier Wochen später erschien dazu in der von Kurt Tucholsky herausgegebenen Weltbühne ein Text von Kaspar Hauser unter dem Titel „Das Lied vom Kompromiß“ als Satire auf „Papa Ebert“ mit dem Refrain:
„Schließen wir ’nen kleinen Kompromiß
Davon hat man keine Kümmernis
Einerseits und and’rerseits
So ein Ding hat manchen Reiz
Sein Erfolg in Deutschland ist gewiss
Schließen wir ’nen kleinen Kompromiß!“
In einem kürzlichen Interview des Linken-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch im Deutschlandfunk ist auch von Kompromissen in außenpolitischen Fragen die Rede. Entsprechende Antworten zu einer von ihm gewünschten Rot-Rot-Grün Regierungskonstellation fallen sehr ausweichend aus, indem die Relevanz von Streitthemen wie NATO, Auslandseinsätze und Russland-Sanktionen geschickt herunter gespielt wird, um festzustellen, „dass wir dort auch in der Außenpolitik mit klaren Positionen dann auch diskussionsfähig sind und am Ende des Tages werden wir auch auf diesem Feld regierungsfähig sein.“
Zwar wird von ihm die NATO als „ein Relikt des Kalten Krieges“ bezeichnet, worauf aber die Aussage folgt:
„Ehrlich gesagt, die Linke wird die NATO nie auflösen. Also, das ist eine Überschätzung sondergleichen, das ist auch absurd, dieses Beispiel immer anzuführen. Niemand glaubt das doch ernsthaft, auch nicht in der Linken, dass wir als Voraussetzung für einen Regierungseintritt sagen, NATO auflösen, vorher sprechen wir gar nicht. Es ist völlig absurd.“
Was als plausibel formuliert daher kommt, ist aber eine geschickte Ablenkung von der eigentlichen Frage. Wofür steht die NATO überhaupt?
Anzumerken ist dabei, dass auch innerhalb der Friedensbewegung Insider-Debatten darüber geführt werden, ob denn die Forderung nach Auflösung der NATO, „Raus aus der NATO“ oder ein Austritt aus den militärischen Strukturen bei weiterhin bestehender politischer Mitgliedschaft die „richtige“ Forderung ist. Letzteres ist übrigens programmatische Grundlage in der Partei Die LINKE gemäß dem Erfurter Programm von 2011. Dort wird auch die heutige Rolle der NATO klar benannt:
„Statt Aufrüstung, militärischer Auslandseinsätze und EU-NATO-Partnerschaft, also einer Kriegslogik, ist die Umkehr zu einer friedlichen Außen- und Sicherheitspolitik notwendig, die sich strikt an das in der UN-Charta fixierte Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen hält.“
Seit 2011 und insbesondere der Ukraine-Krise 2014 hat sich nunmehr die Rolle der NATO als aggressives Militärbündnis erheblich zugespitzt mit vorher nicht gekannter Militärpräsenz an den Westgrenzen Russlands wie zuletzt mit dem Kriegsmanöver DEFENDER 2020 und einem scheinbar immer noch steigerungsfähigen, propagandistischen Trommelfeuer gegenüber Russland. Glaubwürdig ist heute eine NATO-Kritik nur dann, wenn diese Eskalationsspirale klar benannt wird, bei der die NATO entsprechend instrumentalisiert wird. Über mögliche Szenarien zum Ende der NATO zugunsten vorhandener Institutionen für kollektive Sicherheit lässt sich hingegen aufgrund tagespolitischer Entwicklungen trefflich spekulieren. Auch bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr äußert sich Dietmar Bartsch durch Betonung von Nebensächlichkeiten kompromissbereit. Im Interview wird dieses hinterfragt mit Verweis auf Gregor Gysi, der die Frage aufgeworfen habe, ob es Afghanistan wirklich helfen würde, wenn die Bundeswehr dort kurzfristig abziehen würde. Dazu Dietmar Bartsch:
„Das ist doch ganz klar, aber jeder, der halbwegs gerade durch das Leben geht, weiß doch, dass nicht am Tag, wenn die Linke in Regierungsverantwortung eintritt, wir uns in die Flugzeuge setzen und die Jungs zurückholen. Das ist doch absurd.“
Mit solchen Antworten auf nicht gestellte Fragen werden Positionen verwässert, die zuvor von Dietmar Bartsch durchaus im Sinne der bisherigen Positionen der LINKEN benannt werden, dass nämlich der ganze Afghanistan-Einsatz ein Desaster ist und für das Mali-Mandat keine Exit-Strategie vorhanden ist. Doch solche Aussagen ergeben keine klare Position, wenn dabei nicht angesprochen wird, warum diese Politik von der derzeitigen Bundesregierung verfolgt wird. Präzise sind hingegen die Aussagen der Befürworter von Auslandseinsätzen. So hat z.B. am Rande der letzten Münchner Sicherheitskonferenz BDI-Präsident Kempf darauf hingewiesen, dass 61% der Industriearbeitsplätze vom Export abhängig seien. Deshalb müsse die deutsche Exportwirtschaft durch militärische Aufrüstung geschützt werden, um damit Handelswege militärisch abzusichern. Das kann man auch als direkte Umschreibung dessen sehen, was seit 2012 als „neue deutsche Verantwortung“ postuliert wird und mit der Umrüstung der Bundeswehr zur weltweiten Interventionsarmee einher geht.
Das Interview mit Dietmar Bartsch ist dabei nur ein Glied in einer Reihe von Interviews führender Köpfe der LINKEN. Vor allem Katja Kipping trommelt dabei fleißig für einen sozial-ökologischen Systemwechsel durch eine eigene Regierungsbeteiligung und überlässt es dabei Dietmar Bartsch und Gregor Gysi, die hierfür notwendigen außenpolitischen Kompromisse medial vorzubereiten. Zu dieser Thematik kann man feststellen: Eine sozial-ökologische Wende ist nur einhergehend mit deutscher Verantwortung für globale Gerechtigkeit und internationale, nicht ausgrenzende Kooperation möglich, was in Zeiten von Klimawandel, Umweltkatastrophen und Corona notwendiger ist als je zuvor. Diesem steht aber die Fixierung der deutschen Politik auf wirtschaftliche und politische Dominanz entgegen, die nur mit einer weiteren Militarisierung der Außenpolitik aufrechterhalten werden kann. Mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland kann man deshalb nicht mit scheinbar kleinen Kompromissen in der Außenpolitik erreichen.
Das eingangs genannte Lied endet übrigens mit den (nicht satirischen) Schlusszeilen:
„Und durch Deutschland geht ein tiefer Riß.
Dafür gibt es keinen Kompromiß!“
Ich kann nur dringend empfehlen, das Interview mit Bartsch wirklich gründlich und vorurteilsfrei zu lesen:
https://www.deutschlandfunk.de/dietmar-bartsch-die-linke-wir-befreien-die-sozialdemokraten.868.de.html?dram:article_id=482431
Was Bartsch tatsächlich sagt: „In unserem Programm steht ganz klar drin, die Linke will die Umwandlung der NATO in ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands“. Also das will ich auch.
Oder: „Die zentralen Fragen sind eben die, gibt es Zusammenhalt in Deutschland, wird es eine andere Europapolitik geben, machen wir eine andere Politik, was Migration betrifft, tun wir wirklich etwas oder reden wir in Deutschland darüber, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssen, aber exportieren weiterhin Waffen in alle Welt, schicken Soldaten in alle Welt und leisten damit oder schaffen damit sogar Gründe für neue Fluchtbewegungen.“
Es ist schrecklich genug, dass Konservative wie Medien bei den Linken immer schön skandalträchtige Zitate ohne den Kontext, aus dem sie stammen, benutzen, um die Linke angreifen zu können. Wenn allerdings Linke das intern genau so machen, dann ist genau das der Grund für die ewige linke Selbstzerfleischung, die dann zum Sieg von Rechts führt. Leider scheint dieser Aufruf genau auf solchen aus dem Kontext gerissenen Zitaten zu basieren. Ich jedenfalls fand – es geht schließlich um das, was realpolitisch machbar sein könnte – das Interview ziemlich OK. Und ich kann diesen Aufruf deshalb auch nicht unterschreiben.
Anmerkungen von Karl-Heinz Peil:
In meinem heutigen Kommentar zu dem Interview von Dietmar Bartsch bin ich sehr wohl auf diejenigen Aussagen eingegangen, die der Programmatik der LINKEN entsprechen, beispielsweise, dass die NATO von ihm als „ein Relikt des Kalten Krieges“ bezeichnet wird. Des weiteren auch seine Bemerkungen, dass nämlich der ganze Afghanistan-Einsatz ein Desaster ist und für das Mali-Mandat keine Exit-Strategie vorhanden ist. Damit wird die Kritik unseres Aufrufes, die in meinem Text noch mal mit Verweis auf den Gesamtkontext inklusive der prinzipiell positiven Aussagen von Dietmar Bartsch beleuchtet wird, etwas präzisiert. Wir argumentieren nicht mit Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, sondern stellen die gewählten Zitate in einen Gesamtkontext.
Wir wollen damit dazu beitragen, dass die konsequente Friedens- und Abrüstungspolitik Alleinstellungsmerkmal der LINKEN bleibt. Denn viele von uns haben die Veränderungen der Grünen in der Friedensfrage als warnendes Beispiel vor Augen.