Sind 30 Jahre Opposition genug?
Ein Kommentar von Tomas Strobel – Telepolis, 10.9.2020
Die Linke zwischen „Regierungsfähigkeit“ und „roten Linien“
https://www.heise.de/tp/features/Sind-30-Jahre-Opposition-genug-4888751.html
Auszug:
Ich kann mich noch gut an den Wahlkampf erinnern, der 1998 zur ersten „rot-grünen“ Koalition führte, die schon damals weder rot noch grün, sondern blutrot und olivgrün war. Ich war verwundert darüber, dass im vorangegangenen Wahlkampf sogar die Bild-Zeitung ein paar gute Haare an einer „rot-grünen“ Koalition bzw. vor allem an der SPD gefunden hatte. Wie mir im Nachhinein dämmerte, war dieses Wohlwollen von Beginn an vergiftet.
Es war das von den Zwängen der Systemkonkurrenz der Wirtschaftsblöcke auf dem Feld der Sozialpolitik befreite Kapital, das sich damals eine SPD als Regierungspartei gewünscht hat, gepaart mit einem vielleicht immer schon gekauften Fischer. Dafür haben manche Medien bereits im Wahlkampf die Weichen gestellt.
Mit SPD und Grünen auf der Oppositionsbank und den Gewerkschaften hinter sich hätten die Kapitalisten und ihre Hauspartei einen sehr hohen politischen Preis für einen derartigen sozialen Kahlschlag zahlen müssen, wie ihn die Rot-Grünen schließlich mit der Agenda 2010 zu Lasten ihrer eigenen Klientel durchgezogen haben.
Mit SPD und Grünen auf der Oppositionsbank und einer noch von der Friedensbewegung und dem Ende des Kalten Krieges inspirierten Generation hinter sich wäre es wohl kaum gelungen, Deutschland unter eklatantem Verstoß gegen das Völkerrecht in seinen ersten Angriffskrieg nach dem Zweiten Weltkrieg zu führen, wie es die Rot-Grünen schließlich getan haben. So gelang es, den neoliberalen Kapitalismus fest zu verankern und dafür auch noch andere den Preis zahlen zu lassen.