Zwischen links und rechts
von Helge Buttkereit (1.7.2023)
Die AfD erlebt ein Umfragehoch nach dem anderen. Und nun zieht sie auch ins erste Landratsamt ein. Bei der Stichwahl in Sonneburg hat sie gegen das Bündnis aus allen anderen Parteien gewonnen.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kämpft die Linkspartei mit sich selbst und gegen Sahra Wagenknecht. Diese soll ihr Bundestagsmandat zurückgeben. Anmerkungen zum Zustand der parlamentarischen Linken und Rechten in Deutschland.
Quelle: https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/zwischen-links-und-rechts/
bzw. ursprünglich bei https://www.hintergrund.de/politik/inland/zwischen-links-und-rechts/
Auszüge:
Es besteht vor allem eine Repräsentationslücke, eine steigende Zahl an Wählern fühlt sich von keiner der anderen Parteien vertreten. Die beiden Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag, Malte Heidorn und Jan Marose, schreiben im Cicero[10]:
„Klima, Krieg, Migration – in Kernfragen der Politik werden die Positionen eines Großteils der Bevölkerung beiseite gewischt, vielfach moralisch abgewertet. Das ist der Sessellift nach oben für die AfD, die momentan gar nichts tun muss. Man stelle sich vor, sie hätte charismatische und sympathische Parteivorsitzende. Zum Glück teilt sie diesen Personalmangel mit den anderen Parteien.“
Sie kritisieren auch die Medien, wenn sie fordern:
In zentralen Fragen muss das, was in Bundestag und Hauptstadtredaktionen läuft, mit dem Leben und Erleben der Menschen im gesamten Land etwas zu tun haben und in Beziehung stehen. Und es braucht eine Strategie der ausgestreckten Hand in Richtung AfD-Wähler. Zu dem Teil der Wählerschaft, den man noch zurückgewinnen kann. Mit einer ausbalancierten Politik der Vernunft, die den Normalbürger – die Mehrheit des Landes – in den Mittelpunkt rückt und Wahrheiten nicht länger rechts liegen lässt.
Das klingt verdächtig nach Sahra Wagenknecht. Aber die beiden Autoren arbeiten weder für sie noch für einen ihrer Unterstützer in der Fraktion. Der Streit um sie erlebt seit der Forderung nach ihrem Mandatsverzicht durch den Parteivorstand vor knapp zwei Wochen einen neuen Höhepunkt. Es handelt sich dabei um einen „sonderbare[n] Kampf um die ,Einheit der Partei‘, der ihre Spaltung zur Gewissheit“ mache, heißt es in der jungen Welt. Denn nach der Forderung auf Mandatsverzicht folgte umgehend die Rücktrittsforderung an den Vorstand. Die Bundestagsabgeordnete und Wagenknecht-Vertraute Sevim Dagdelen sagte, die Parteiführung folge einer „Logik der Säuberung“ und sektiererischen Praktiken.
[…]
Die AfD ist mittlerweile zehn Jahre alt, und als sie sich 2017 das erste Mal anschickte, in den Bundestag einzuziehen, erschien ein kleiner Band eines linken Autors. Er meinte schon damals, dass er unter dem Pseudonym Fabian Stepanek schreiben musste. Sein Buch mit der Autorenangabe trug den Titel „Wo die AfD recht hat … und warum sie trotzdem Brandstifter sind“ (Gemini Verlag). Damals schrieb ich in einer Buchbesprechung für das Neue Deutschland:
Die AfD agiert als notwendigerweise wandelbare Antwort auf den Eindruck, Elite und Volk entfernten sich immer weiter voneinander. So habe, schreibt Stepanek, auch die Linke mittlerweile den Kontakt zu denjenigen verloren, „die auf eine teilweise diffuse Art und Weise dem ganzen System misstrauisch bis ablehnend gegenüberstehen“.
Die Themen und Ängste werden aber nicht diskutiert, sondern tabuisiert und die AfD fungiert als gern gesehener Tabuverstärker. Eben weil die Partei nach rechts bis in völkische und gar neonazistische Kreise geöffnet ist, was Stepanek scharf kritisiert, werden aus der Sicht von großen Teilen der veröffentlichten Meinung alle anderen Programmpunkte kontaminiert. Und wer mit anderen Zielen das Gleiche wie die AfD kritisiert, der wird zum Rechtsaußen und es wird psychologisiert.[8]
Das gilt bis heute. Zu den damals unumstößlichen Gewissheiten, die Stepanek nannte, die nicht diskutiert werden dürfen, sind neue hinzugekommen. Waren es damals Flüchtlinge, Islam und EU, sind es heute Corona, Klima und Ukraine-Krieg. Themen, in denen man sich verdächtig macht, wenn man eine andere Meinung als der Mainstream vertritt. Statt offener Diskussionen gibt es meist Bekenntnisse und Haltungen.